Musikschule: Auf der Einbahnstraße im Schritttempo zur Normalität
Musikschule: Auf der Einbahnstraße im Schritttempo zur Normalität
Eigentlich liebt Dagmar Tewes, Leiterin der Musikschule der Stadt Gevelsberg, nichts mehr, als ihren Schülerinnen und Schülern ganz nahe zu ein. „Im Augenblick laufe ich aber mit einem Zollstock durch das Haus“, sagt sie. Abstand halten ist zu Corona-Zeiten die Devise.
Die Flure und Treppenhäuser der Schule am Lindengraben haben sich in ein Einbahnstraßen-System verwandelt. Durch die Haustür geht es rein – aber nicht wieder raus. Die Schüler verlassen das Gebäude über die Außentreppe an der Konzertaula in der obersten Etage – und werden dafür mit einem atemberaubenden Blick über Gevelsberg belohnt. Flötenlehrer Wolfgang Hamacher trennen zwei Spuckschutz-Wände von seinen Schülerinnen und Schülern. Der Platz, auf dem der Stuhl stehen muss, ist deutlich markiert. Selbst dort, wo der Notenständer seinen Platz hat, ist ein Kreuz auf dem Boden.
„Es ist aber doch noch ruhig in der Musikschule, seit wir wieder teilweise öffnen durften“, sagt Dagmar Tewes. Rund 800 Schülerinnen und Schüler und 18 Lehrkräfte sorgen in normalen Zeiten für Leben in dem Haus. Nach der kompletten Schließung geht es Schritt für Schritt ein Stückchen in Richtung Normalität. Die Chefin in dem Haus am Lindengraben, dessen Fassade die Portraits großer Musiker zieren, geht die Schritte vorsichtig, eher zu langsam als zu forsch an: „Wir können in dieser Situation froh darüber sein, dass wir ein großes Haus, viele Räume, breite Gänge haben und uns somit aus dem Weg gehen können.“ Beim Klavierunterricht stehen jetzt zwei Instrumente im Unterrichtsraum: Eins für den Schüler oder die Schülerin, eins für die Lehrkraft.
„Es ist eine Riesenlogistik“, sagt Dagmar Tewes. Und die müssen die Chefin und die anderen Lehrkräfte seit dem 13. März des Jahres bewältigen: „An diesem Tag erreichte uns die Nachricht, dass wir ab dem 16. März dicht machen müssen. Damals waren nur noch drei Lehrkräfte im Haus, die ich direkt informieren konnte.“ Das Kollegium legte aber nicht die Hände in den Schoß, sondern lernte schnell zu improvisieren, die Situation zu meistern. Dagmar Tewes, durchaus im Umgang mit Computern begabt und geübt, organisierte Videokonferenzen. Eine Woche nach der Nachricht von der Schließung öffnete die Gevelsberger Musikschule wieder. Es gab Fernunterricht.
„Zuerst hatten wir den Eindruck, unsere Schülerinnen und Schüler waren damit überrumpelt, dass sie auch in Corona-Zeiten üben sollten. Nach einer Woche haben wir aber unglaublich viele positive Rückmeldungen erhalten. Sogar einige Schülerinnen und Schüler, die sich bereits vom Unterricht abgemeldet hatten, wollen wiederkommen“, so die Gevelsberger Musikschul-Leiterin, die mit ihrem Team gegen die tödliche Langeweile angekämpft hat.
Jede Lehrkraft unterrichtete aus seinem eigenen Homeoffice. Sie mussten mit den technischen Möglichkeiten arbeiten, die ihnen privat zur Verfügung stehen und die sie beherrschen. „Wir haben alle Möglichkeiten genutzt, von Skype bis Whats App. Ein Kollege, der mit Computern noch nicht genug Erfahrungen hatte, schickte seinen Schülern E-Mails mit Aufgaben“, erzählt Tewes und lobt die Eltern der Gevelsberger Kinder. Sie mussten bei dem Fernunterricht mehr Zeit für technische Hilfestellungen beim Musikunterricht leisten. Und in einigen Familien war die Kapazität an Computern auch ausgelastet, weil Mama und Papa die private Datenverarbeitung brauchen, um ihr eigenes Homeoffice zu organisieren.
Hinzu kommt, dass viele Kinder keine Instrumente zu Hause haben, sondern die in der geschlossenen Musikschule bei Pandemie unerreichbar aufbewahrt werden. So unterrichteten Lehrer Körper-Percussion mit Klaps auf die unterschiedlichsten Stellen zwischen Scheitel und Zehenspitzen. Musik wurde mit mehr oder minder gefüllten Flaschen gemacht. Und manchmal räumten die kleinen Musiker den Schuppen ihrer Eltern aus und sortierten die dort entdeckten Utensilien nach Klängen. Die Eltern drehten davon kleine Filme und schickten sie an die Musikschule zurück.
„Wir haben eine ganz neue Kreativität bewiesen“, sagt Dagmar Tewes. Und trotzdem ist sie froh, wenn die Zeiten des Fernunterrichts endlich vorbei sind. „Musik“, sagt sie nachdenklich, „bedeutet nicht nur die richtigen Töne zur richtigen Zeit zu treffen.“ Musik sei das gemeinsame Erleben und Erobern der Klangwelten. Und beim Musikunterricht würden die Schülerinnen und Schüler ihren Lehrkräften unbewusst nachahmen und sich auch so die Fortschritte bei der Beherrschung ihres Instrumentes erarbeiten. Tewes hofft, dass das bald wieder in allen Bereichen der Musikschule, zum Beispiel beim Ballettunterricht, wieder der Fall sein wird. Aber, ihr Team ist auch darauf vorbereitet, wenn es anders kommen sollte. Im Büro von Dagmar Tewes stapeln sich die Laptops unterschiedlicher Hersteller – der Notnagel für Musik in schweren Zeiten.