Claus Jacobi: »Das Gevelsberg-Gefühl ist nicht unter die Räder gekommen«
Claus Jacobi: „Das Gevelsberg-Gefühl ist nicht unter die Räder gekommen“
„Wir können uns auf das Jahr 2023 in Gevelsberg auch auf vieles freuen“, erklärt Bürgermeister Claus Jacobi im zweiten Teil des traditionellen Interviews zum Start ins neue Jahr mit dem Journalisten Klaus Bröking. Nach der Corona-Pandemie gebe es in vielen Bereichen des städtischen Lebens Aufbruch und Neuanfang.
Frage: Dunkle Wolken liegen nach dem Ausbruch des brutalen Krieges gegen die Ukraine über der Welt und damit auch über Gevelsberg. Trotzdem sehen Sie, Herr Jacobi, viele Entwicklungen auch optimistisch. Woher nehmen Sie den Optimismus?
Claus Jacobi: Ich bin grundsätzlich ein optimistischer Mensch. Spaß beiseite: Was ich meine ist, dass wir in unserer Stadt aus der Corona-Pandemie herausgekommen sind, ohne großen Schaden zu erleiden. Da hatte ich lange Zeit meine Zweifel.
Können Sie das an einem Beispiel festmachen, was Sie konkret damit meinen?
Claus Jacobi: Nehmen wir doch einmal unsere Kirmes, eines der wichtigsten Ereignisse für die Menschen in unserer Stadt. In diesem Jahr werden wir eine Kirmes feiern, wie wir sie vor Corona kannten, mit dem Wettbewerb der Kirmesgruppen untereinander und hoffentlich auch einem Riesenrad. Wir werden Freunde treffen, mit ihnen lachen, anstoßen.
Haben die Kirmesgruppen also die schwierige Zeit gut überstanden?
Claus Jacobi: Sie haben sie gut überstanden, obwohl es eine herausfordernde Zeit war. Nicht nur der Kirmeszug, sondern auch die Sommerfeste mussten ausfallen. Sie bilden die finanzielle Grundlage für die Arbeit der Gruppen. Aber sehen Sie: Wir haben in einer Zeit des absoluten Stillstandes die Geburt einer neuen Kirmesgruppe aus unserem Höhendorf Silschede erlebt. Darauf bin ich stolz. Das Gevelsberg-Gefühl ist nicht unter die Räder gekommen.
Kommen wir zur Anbindung. Der Fahrrad- und Fußgängerweg von Gevelsberg-West nach Schwelm hat sich verzögert?
Claus Jacobi: Wie alle Projekte in dieser schwierigen Zeit, wenn sie eine gewisse Größenordnung haben. Bei dem Radweg ist es ähnlich gewesen. Seit der offiziellen Eröffnung am 17. März können Radfahrerinnen und Radfahrer diesen reizvollen Lückenschluss zwischen den beiden Städten nutzen - in zehn Minuten ist man mit dem Rad von Gevelsberg nach Schwelm. Seien wir einmal ehrlich: Das hätten wir uns vor ein paar Jahren doch noch nicht vorstellen können.
Und wie geht es weiter?
Der Radweg an der Neuenlander Straße ist unser nächstes Projekt der Mobilitätswende. Hier muss jedoch zunächst noch geklärt werden, ob der Weg auch durch den Silscheder Tunnel führen kann. Denn, was nutzt uns der Bau des Radweges, wenn es nicht Richtung Ruhr weitergehen kann?
Frustriert Sie die Situation?
Eine Ablehnung der Streckenführung durch das Land wäre sowohl für die Stadt als auch für die Radfahrer verheerend. Dann würden Steigungen auf dem Weg sein, die keine Familie oder Senioren meistern können oder wollen. Aber eins ist sicher: Wir sind mit der Verkehrswende in Gevelsberg weiter als in den meisten anderen Kommunen. Der Radfahrer und auch der Fußgänger merken die Fortschritte von Jahr zu Jahr. Das haben wir unserer Beharrlichkeit zu verdanken. Und diese Beharrlichkeit werden wir auch beim Silscheder Tunnel an den Tag legen.
Frage: Wir feiern in diesem Jahr, dass die Freundschaft zwischen Gevelsberg und Vendôme in Frankreich seit einem halben Jahrhundert nicht nur besteht, sondern auch von beiden Seiten intensiv gepflegt wird. Welche Bedeutung hat das Jubiläum für Sie?
Claus Jacobi: Man kann diese Freundschaft zwischen den beiden weltoffenen Städten gar nicht groß genug einschätzen. Das ist das Gegenmodel zu einer Welt, die durch den Ukraine-Krieg in eine Schieflage geraten ist.
Ein Beispiel für die Völkerverständigung?
Ein Beispiel, für das es sich lohnt, zu kämpfen – symbolischer Art. Es lohnt sich für den Frieden und die Demokratie im Alltag, im Miteinander zu kämpfen. Sehen Sie einmal: Die meisten Menschen in Gevelsberg sprechen kein Französisch, die überwiegende Zahl der Vendômer kein Deutsch. Und trotzdem verstehen sich die Menschen in beiden Städten trotz der unterschiedlichen Sprachen. Das ist es, was ich meine.
Gibt es einen Moment, der für Sie als Bürgermeister ein besonderes Erlebnis war, in dem Sie diese Freundschaft deutlich gespürt haben?
(Jacobi überlegt eine Weile) Es gibt viele solcher Momente, aber einer ist für mich sehr deutlich in der Erinnerung geblieben. Es war im Jahr 2019. Damals sind wir mit unserem Sohn Simon zu einem Neujahrsempfang nach Vendôme gefahren. Man hatte mich gebeten, auf dem Empfang eine kleine Ansprache zu halten und ein frohes neues Jahr zu wünschen. Ich bin von einigen Hundert Menschen mit einem großen Applaus und einer so großen Herzlichkeit empfangen worden, als wäre ich ihr eigener Bürgermeister.
Ende Mai wird eine Delegation von 400 Gevelsbergern nach Vendôme reisen, um an den Feierlichkeiten zum 50. Freundschaftsjubiläum dort teilzunehmen.
Ja, aber eine Gruppe von 400 Frauen und Männern als Botschafter von Gevelsberg ist in meinen Augen mehr als eine Delegation. Vertreter aus Gevelsberger Gruppen und Vereinen jeden Alters werden mitreisen. Viele waren schon oft in Vendôme, andere begegnen unseren Freunden zum ersten Mal.
Warum wird der runde Geburtstag nicht in Gevelsberg gefeiert?
Sehen Sie, eine solche Feierlichkeit auf die Beine zu stellen ist eine Menge Arbeit für Vereine, die die Freundschaft pflegen, und auch für die Stadtverwaltung. Wir haben uns deshalb darauf geeinigt, dass jeder Jahrestag mit einer Null am Ende in Vendôme und die Geburtstage mit einer Fünf hinten an der Ennepe gefeiert werden. Ich halte das für eine sehr vernünftige Lösung. Also gibt es zu 55 Jahren Städtefreundschaft wieder eine große Feier bei uns.
Dann wird sich Gevelsberg verändert haben?
Eine Stadt wie unsere muss sich ständig verändern, sich neu erfinden. Wir wollen zum Beispiel, nachdem der Vendômer Platz zu einem Schmuckstück geworden ist, auch unsere Fußgängerzone neu erfinden. Wir haben ein hohes Niveau der Geschäftswelt in unserer Stadt und das wollen wir unbedingt erhalten. Dazu gehört nicht nur die Fußgängerzone, sondern auch die Neugestaltung des Stadtgartens zwischen Rathaus und Mittelstraße.
Es gibt in Gevelsberg nicht nur die Geschäftswelt. Es gibt auch eine wichtige Industrie. Und es gibt auch Industriebrachen, die im Stadtbild außerordentlich stören. Kann die Stadt nichts dagegen machen?
Das tun wir doch. Wir haben als Stadt in einer Rekordzeit dafür gesorgt, dass die Jeco-Brache an der Feverstraße wieder bebaut wurde. Da sind Pflegeplätze und altengerechte Wohnungen entstanden. Und wir haben die Gelegenheit genutzt, die Industrie inmitten eines Wohngebiets, die immer stören wird, durch ein dringend benötigtes Wohnungsangebot zu ersetzen.
Gut, aber die Wülfing-Brache in der Mühlenstraße ist das genaue Gegenteil dazu?
Es ist ein Beispiel dafür, dass wir einem Investor nicht einfach sagen können: Reiß‘ das ab und bau‘ was schönes Neues darauf mit möglichst vielen Arbeitsplätzen. So einfach geht das nicht, obwohl ich es mir wünsche. Wir sprechen hier auch von Altlasten, die Fabriken hier hinterlassen haben. Die Erde des Grundstücks muss quasi aufgeschnitten werden, um sich ein Bild zu machen. Erst dann können wir über ein Konzept und die Finanzierung sprechen. Das ehemalige Gelände von Hüninghaus an der Haßlinghauser Straße zum Beispiel muss ebenfalls gründlich untersucht werden, bevor wir hier in die zukünftige Entwicklung starten können.